Redebeitrag über Langzeitgefangenschaft, Alter und Gesundheit im Knast

Langzeitstrafen, Alter und Knast
Von FREE MUMIA Berlin, Oktober 2016

In den USA werden nicht nur horrend lange sondern i.d.R. auch flexible Haftstrafen erlassen. Gefangene sollen angehalten werden, sich möglichst allem zu unterwerfen, um eventuell etwas früher aus der Haft zu kommen. Sog. „Begnadigungsausschüsse“ bewerten nach Ablauf der Mindeststrafen den sog. „Resozialisierungsstand“ der jeweiligen Gefangenen und lehnen eine Entlassung in den meisten Fällen ab, auch wenn die/der Gefangene sich an alle auferlegten Regeln gehalten hat, einschließlich der Selbsterniedrigung und der verweigerten Solidarität mit Mitgefangenen.

Kämpfende Gefangene werden oft dazu angehalten, ihren Widerstand aufzugeben oder sich von ihren jeweiligen politischen Organisationen abzugrenzen. Diese Farce spult sich in Pennsylvania z.B. jährlich bei den Bewährungsanhörungen der MOVE-9 Gefangenen ab, die zwar mustergültiges Verhalten und hohe Anerkennung sowohl der Behörden als auch der Mitgefangenen vorweisen können, sich aber weigern, ihre Trennung von MOVE zu erklären. Deswegen sitzen sie seit 1978 in Haft. Zwei von ihnen sind inzwischen bereits gestorben. Ähnliches erleben viele Gefangene aus der ehemaligen Black Panther Partei, wie z.B. Sundiata Acoli. Auch Leonard Peltier hat bereits diverse dieser Farce-Anhörungen hinter sich, bei denen z.B. die Bundespolizei FBI regelmäßig mit der Feststellung intervenierte, dass „irgendwer ja für den Tod zweier seiner Beamten sitzen müsse“, auch wenn nicht erwiesen sei, dass Peltier der behauptete Mörder sei.

Neben der politischen Repression gegen widerständige Gefangene kommt den flexiblen Haftstrafen jedoch ein weiterer Faktor zu: geschultes und gleichzeitig beinahe unbezahltes Personal wird nur ungern aus den Produktionsstätten der Gefängnisindustrie entlassen. Das Multi-Milliarden-Dollar Geschäft der modernen Sklaverei erhält also u.a. durch die Begnadigungsausschüsse einem Anschein von „Rechtsstaatlichkeit“ aufrecht.

Diese Praxis führte in den vergangenen Jahren dazu, dass in den Knästen der USA zunehmend Gefangene mit sehr hohem Alter und enormen Gesundheitsproblemen eingesperrt worden sind, für die es unter den Bedingungen der Gefangenschaft kaum ausreichende medizinische Versorgung gibt. Mumia Abu-Jamal stellte bereits 2012 kurz nach seiner Verlegung vom Todestrakt in ein Umschlussgefängnis erstaunt fest, dass die Schleusen und sonstigen Einrichtungen des Gefängnisses nicht rollstuhlgerecht seien, obwohl ca. 1/5 der Gefangenen im SCI Mahanoy altersbedingt gar nicht mehr in der Lage sind, eigenständig zu gehen.

Outgesourcte, komplett oder teilprivatisierte Gesundheitsversorgung ist eine weitere Profitnische der Gefängnisindustrie. Konzerne wie z.B. Corizon verdienen Milliarden daran, staatliche Gelder zu kassieren und möglichst wenig Leistung dafür an Gefangene weiter zu geben. Gefängnisbehörden und Gesetzgeber*innen in den Bundesstaaten unterstützen dies durch Richtlinien, die Gefangenen manchmal erst auf dem Totenbett dringend benötigte Medizin zuerkennt, was vorher wg. hoher Kosten meist verweigert wird. Derzeit bekanntestes Beispiel ist die skandalöse Haltung des US Bundesstaates Pennsylvania, der über 6000 an Hepatitis-C erkrankten Gefangenen mit dieser Argumentation die Behandlung verweigert und sie dadurch grausam zu Tode foltert. Mumia Abu-Jamal ist einer dieser Gefangenen. Seit 2015 verklagt er die Gefängnisbehörde und konnte vor kurzem einen ersten Teilerfolg verbuchen, als ein föderaler Bezirksrichter die grundsätzlich Praxis in Pennsylvania als verfassungswidrig einstufte. Mumia befindet sich derzeit in dem nächsten Stadium der Klage. Sollte er gewinnen, bedeutet dies nicht nur für ihn die dringend benötigte Medikation gegen Hepatitis-C, die bei ihm bereits die Leber bedroht. Auch alle anderen Gefangenen könnten sich dann darauf berufen und eine medizinische Versorgung einfordern.

Öffentlichkeit und Druck auf Behörden und Konzerne haben sich bereits im Kampf gegen die Todesstrafe in den USA als die wichtigsten Mittel zur Unterstützung kämpfender Gefangenen erwiesen. Weitere Bereiche für Protest sind Gesetzgebung und Justiz, die noch immer Gebrauch von drakonisch langen Strafen bei vergleichsweise bagatellisierten Vergehen machen. Die Frage von Reform oder Befreiung ist eine, die sich nur mit der konsequenten Unterstützung der einzelnen Gefangenenkämpfe entscheidet.


Stellt Öffentlichkeit her!

Stellt euch gegen die gewinnorientierte Privatisierung des Straffvollzugs – auch hier!

Unterstützt Mumia Abu-Jamal in seinem Kampf um medizinische Versorgung!

Übt Druck auf Tom Wolf, den Gouverneur von Pennsylvania und die Gefängnisbehörde aus!
Schreibt jetzt und hier Postkarten – und nehmt welche für Freund*innen und Freunde mit!


Free Mumia – FREE THEM ALL!

Solidarität mit den Gefangenenkämpfen in den USA

Grußbotschaft der Berliner Gefangenen Gülaferit Ünsal an die streikenden Gefangenen in den USA

Solidaritätsbotschaft an die streikenden Gefangenen in den USA
von Gülaferit Ünsal, politische Gefangene in der Berliner JVA Lichtenberg, September 2016

Ich grüße die 24.000 amerikanischen Gefangenen, die gegen Sklavenarbeit den größten Gefangenenstreik der US-Geschichte durchführen.

Sie wollen nicht wie Sklaven, sondern wie Menschen leben und eine menschliche Zukunft haben.

Sie wurden in Zellen gesperrt, weil sie ihre Rechte eingefordert, sich organisiert und Widerstand geleistet haben. Ihr Telefon- und Besuchsrecht wurde verboten. Sie wurden einer noch massiveren Isolation ausgesetzt. Einige Gefangene, von denen angenommen wurde, dass sie den Widerstand leiten, wurden in andere Gefängnisse zwangsverlegt.

Wir RevolutionärInnen kennen diese Angriffe nur zu gut. In den Gefängnissen der Türkei wurden unzählige Massaker durchgeführt, um zum US-Gefängnismodell überzugehen.

Genau aus diesem Grund haben wir mit dem Todesfasten gegen die F-Typ Gefängnisse sieben Jahre lang Widerstand geleistet. 122 Menschen sind gefallen.

In den USA gibt es 2,3 Mio. Gefangene. Die große Mehrzahl von ihnen muss für ein paar Cent die Stunde arbeiten.

In den deutschen Gefängnissen ist die Situation auch nicht ganz anders. Die Gefangenen werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt.

Die Gefängnisse in den USA bilden einen wichtigen Sektor innerhalb der kapitalistischen Ausbeutung. Das Zusammentreffen von massiver Isolation sowie harten und langen Haftstrafen mit der Zwangsarbeit hat die Gefangenen zu Sklaven des 21. Jahrhunderts werden lassen.

Während die USA weltweit imperialistische Kriege und Aggression organisiert, versklavt sie auf diese Weise ihre eigene Bevölkerung.

Auf den Straßen der USA wurden 2015 306 Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei ermordet.

Die USA gehört zu jenen Ländern, wo die meisten Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Und was sie der Welt als “Demokratie” verkaufen wollen, ist eine Riesenlüge.

Der US-Imperialismus hat bisher jeden und jede, die gegen kapitalistische Ausbeutung und Faschismus ist, als TerroristIn gebrandmarkt.

Genau aus diesem Grund gibt es in der Türkei tausende und in Europa und der BRD dutzende politische Gefangene aus der Türkei.

Wir leisten Widerstand gegen die § 129 a und b, gegen das Gefängnissystem amerikanischen Typs und gegen Isolationsbedingungen. Wir bezahlen einen hohen Preis.

Und weil wir diesen Preis zahlen, leben wir mit unserer Identität als politische Gefangene weiter.

Wir verstehen den Widerstand der amerikanischen Gefangenen nur zu gut.
Und wir rufen aus den deutschen Gefängnissen. Ihr werdet uns nicht zu einem Teil des imperialistisch-kapitalistischen Gefängnissystems machen können.

Wir werden mit unserem Widerstand und unserer Identität als politische Gefangene immer an der Seite der US-Gefangenen und der kämpfenden Gefangenen sein.

Die Sklavenketten können nur durch Widerstand zerbrochen werden. Die Kämpfenden gewinnen immer.

Nieder mit dem US-Imperialismus
Hoch die internationale Solidaritätsbotschaft

Gülaferit Ünsal
26.09.2016

Free Them ALL!

In den USA sind derzeit knapp 2,3 Millionen Menschen eingesperrt, weitere ca. 4,2 Millionen unterliegen staatlicher Aufsicht und haben zum Großteil keine Bürgerrechte mehr. Auffällig dabei ist, dass ein überproportional großer Teil der Gefangenen People Of Color sind, darunter viele Afroamerikaner*innen, Hispanics und Indigene. Beinahe allen Gefangenen gemeinsam ist, dass sie über keine eigenen finanziellen Mittel verfügen, um sich vor der Justiz angemssen zu verteidigen, die ca. 97% von ihnen ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis gesteckt hat.

Ein treibender Faktor bei der Masseninhaftierung in dem sog. „Land Of The Free“ ist dabei der ökonomische Anreiz zur beinahe kostenlosen Abschöpfung der Arbeitskraft dieser Gefangenen in der staatlich/privaten Gefängnisindustrie.

Die Masseninhaftierung in den USA ist in ihrem Ausmass derzeit beispiellos und nichts anderes als Fortsetzung der Sklaverei unter anderem Namen. Innerhalb und ausserhalb der Gefängnisse steigt der Widerstand gegen diese Rechtslosigkeit und eine Gesellschaft, in der Menschen ohne materiellen Wohlstand versklavt werden.

In Berlin hat sich das Bündnis FREE THEM ALL aus Gruppen und Einzelpersonen gebildet, welches die Kämpfe der Gefangenen und ihrer Angehörigen unterstützen möchte. Zu diesem Zweck führt FREE THEM ALL kurz vor den US Präsidentschaftswahlen am 29. Oktober eine Kundgebung vor der US Botschaft in Berlin durch.

Einer der Schwerpunkte wird dabei auf dem indigenen Gefangenen Leonard Peltier sowie der generellen Lebenssituation der Native Americans in den USA liegen. Weiter geht es um die Gefängnisindustrie und die gesundheitliche Versorgung von Langzeitgefangenen am Beispiel der Nichtversorgung von an Hepatitis-C Erkrankten im US Bundesstaat Pennsylvania, unter ihnen der Journalist Mumia Abu-Jamal.

Mumia selbst ruft ebenfalls zur Teilnahme an dieser Kundgebung auf:
Mumia Abu-Jamals calls out to join protest in Berlin on October 29, 2016

Neben Mumia werden weitere Gefangene angefragt, sich mit Grußbotschaften an der Kundgebung zu beteiligen. Live Musik und weitere Beiträge über Frauen im Knast, Solidaritätsarbeit mit Gefangenen und aktuelle europäische Beispiele von Widerstand gegen die Gefängnisindustrie sind ebenfalls geplant.

Free Leonard Peltier – Free Them ALL!