1968 organisierte sich der junge Indigene Leonard Peltier im American Indian Movement, um gegen die damals wie heute anhaltende koloniale Gewalt in den USA zu kämpfen. Sog. „Boarding Schools“, in die indigene Kinder in den USA und Kanada verschleppt wurden, um sie in die weiße Gesellschaft zwangsweise zu assimilieren, erwiesen sich als lebensgefährliche Orte für viele. Auch Peltier durchlief diese Zeit des Terrors, die er rückblickend als die erste Haftstrafe seines Lebens bezeichnet. Seit 1976 sitzt er seine zweite Haftstrafe für einen nie bewiesen Mord an zwei FBI Beamten ab und ist mit 79 Jahren inzwischen schwer erkrankt. Trotz 48 (!) Jahren Haft schöpfen er und Unterstützer*innen allerdings Hoffnung auf einen 2024 anstehende Bewährungsanhörung und intensivieren die Solidaritätsaktivitäten.
Indigene, die seit der Kolonialisieung der Americas durch europäische Feudalgesellschaften mit Massenmord und Staatsterrorismus u.a. in entlegende Gebiete der heutigen USA verdrängt worden sind, wurden und werden immer wieder Opfer von Land- und Bodenschatzinteressen durch Konzerne und Regierung. 1973 war Leonard Peltier am „March of Broken Treaties“ beteiligt, als tausende Indigener über Monate hinweg aus allen Teilen der USA nach Washington D.C. liefen, und Gespräche über die schweren Vertragsbrüche mit US Regierung besprechen wollten. Als sie vom Weißen Haus und Kongreß abgewiesen wurden, besetzten sie kurzfristig das „Bureau of Indian Affairs“, also die US Regierungsbehörde, die bis damals den Terror gegen Indigene zentral organisierte. Zwar hielt diese Besetzung nur sieben Tage an, aber Leonard Peltier war seitdem auf der Zielliste des FBI, das mit dem damals noch geheimen Programm „COINTELPRO“ systematisch gegen politische Aktivist*innen vorging.
Dieses Programm umfasste alles von Überwachung, Falschinformationen und gegenseitiger Hetze, Infiltrationen und Aufstachelung zu illegalen Aktionen, gefälschten Beweisen vor Gericht bis hin zum offenen Mord an politischen Gegner*innen. Es wurde 1975 in einem nach seinem Vorgesetzten benannten „Church Comittee“ Untersuchungsausschuß aufgedeckt. Seit „September 11“ sind alle diese Methoden polizeilichen Handelns legaler Bestandteil der „Homeland Security“ Gesetze in den USA.
Mitte der 1970er wurden in der Pine Ridge Reservation, einer entlegenden ländlichen Gegend, in die viele Indigene der Oglala verdrängt worden waren, Uran gefunden. Fortan versuchte eine Todesschwadron namens „G.O.O.N.“ unter Leitung des korrupten indigenen Gemeindevorstehers Dick Wilson, Indigene zu verjagen, die ihr Land nicht (erneut) an die US Regierung abgeben wollten. Nach offiziellen Angaben wurden 62 Menschen durch diese Todesschwadron ermordet. Schätzungen besagen jedoch, dass es vermutlich über 400 waren. Das alles geschah mit ausdrücklicher Billigung und Beobachtung durch die US Bundespolizei FBI, die auch Waffen und Training bereit stellte.
In dieser aussichtslosen Situation riefen die Bewohner*innen der Pine Ridge Reservation das American Indian Movement (A.I.M.) um Hilfe. A.I.M. war wenige Jahre zuvor geründet worden, um – insperiert durch die Black Panther Party – Selbstverteidigung indigenen Lebens gegen rassistische Gewalt zu organisieren. Eine Gruppe A.I.M. Aktivist*innen, zu denen auch Leonard Peltier gehörte, ging nach Pine Ridge und wurde 1975 in ein Feuergefecht mit dem FBI, föderalen Soldaten, dem G.O.O.N. sowie einer lokalen weißen Militia verwickelt. Zwei FBI Beamte fuhren ohne Kennzeichnung mit hoher Geschwindigkeit auf die Jumping Bull Farm, in der sich das Camp der A.I.M. Aktivist*innen befand. In dem darauf folgenden Schutzwechsel starben diese beiden Beamten sowie ein junger A.I.M. Aktivist. Dem Rest der A.I.M. Gruppe gelang die Flucht, obwohl sie von Hunderten scharf schiessender Angreifer umzingelt waren. Lokale Indigene versteckten die ca. 30 A.I.M. Aktivist*innen über Monate in der Region, bis den meisten schliesslich die Flucht aus Pine Ride gelang, so auch Leonard Peltier, der nach Kanada flüchten konnte.
Drei A.I.M. Aktivisten wurden jedoch gefasst und des Mordes an den beiden FBI Beamten angeklagt. In dem darauf folgenden Prozeß konnte jedoch festgestellt werden, dass die Beamten sich nicht ausgewiesen und das Feuer eröffnet hatten, so dass die Angeklagten von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht hätten. Außerdem wurde bis heute nicht festgestellt, wer denn konkret die Beamten erschossen habe. Der Tod des damals erschossenen jungen Indigenen wurde allerdings (bis heute) nicht untersucht, die drei Angeklagten jedoch frei gelassen.
Das FBI war darüber sehr enttäuscht und ging gegen Leonard Peltier anders vor. Sie beantragten mit gefälschten Beweisen seine Ausweisung aus Kanada, die am 6. Februar 1976 tatsächlich statt fand. Sie hatten den kanadischen Behörden ein „Geständnis“ einer jungen indigenen Frau vorgelegt, die aussagte, Peltier sei ihr Freund gewesen und habe ihr die Tat gestanden. Im späteren Prozeß sagte sie allerdings aus, dass sie und ihr Kind vom FBI mit ihrem Leben bedroht worden waren. Ihr seien die Bilder einer verstümmelten Leiche einer anderen A.I.M. Aktivistin vorgelegt worden, die tatsächlich mit Peltier befreundet gewesen war. Dann wurde ihr von den Beamten gedroht, dass ihr und ihrer Tochter das gleiche passieren würde, wenn sie nicht die Falschbelastung gegen Peltier unterschreibe. Ihre Erklärung zu den Umständen ihrer falschen Anschuldigung wurde im Gerichtssaal unter Ausschluß der Jury behandelt und durfte nicht in die Gerichtsakten aufgenommen werden. Das ist einer der Gründe, warum Amnesty International und andere Leonard Peltier als politischen Gefangenen bezeichnen. Sein Verfahren war von ähnlicher „Qualität“, wie der sechs Jahre später stattgefundene Schauprozeß gegen den afroamerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal ( https://freiheit-fuer-mumia.de/ ).
Peltier war in dem Verfahren völlig chancenlos und medial bereits vorverurteilt. Obwohl der Staat alles an Manipulationen (weitere Falschaussagen, unschlüssige Fiensics etc.) aufbat, konnte selbst in diesem Prozeß nicht geklärt werden, wer den eigentlich die beiden FBI Beamten erschossen habe. Peltier wurde schliesslich wg. Unterstützung eines Mordes an zwei Polizisten zu zweimal lebenslänglich verurteilt.
Als föderaler Gefangener war er bereits kurz darauf Gefangner im Marion Gefängnis, dem ersten „Super Max“ Knast der USA, der nach den großen Gefängnisaufständen der frühen 1970er eigens für die Isolation und psychische Vernichtung politischer Gefangener geplant worden war. Diese Art der Haft wurde später zum allgemeinen Modell, der heute zahlreiche Gefangenen in den USA unterworfen sind.
Peltier überlebt in Haft zwei nachweislich vom FBI vorbereitete Mordanschläge. Viele Mitgefangene lernten ihn als einen angenehmen und trotz der brutalen Haftbedingungen sehr ausgeglichenen Menschen kennen. Er hatte immer wieder starke gesundheitliche Probleme. Die verweigerte medizinische Behandlung mußte ähnlich wie bei Mumia Abu-Jamal immer wieder von außen durchgekämpft werden. Inzwischen leidet Peltier u.a. an einer Aorta Aussackung. Sollte seine Blutgefäße platzen, würde er innerhalb von Minuten innerlich verbluten und hätte in der Isolationshaft keine Überlebenschance. In diesem Zustand lebt er nun seit etlichen Jahren, derzeit im USP Coleman 1 in Florida. Peltier ist inzwischen 79 Jahre alt.
2024 wird es eine Bewährungsanhörung geben. Dabei soll geklärt werden, ob er „resozialisiert“ sei und entlassen werden könne. Angehörigen und Bewohner*innen der Pine Ridge Reservation haben wiederholt ihre Bereitschaft erklärt, den schwer kranken Peltier aufzunehmen. Aber das FBI hatte in vergangenen Anhörungen mehrfach seine weitere Inhaftierung gefordert und erklärt, „irgendwer müße ja schliesslich für den Tod ihrer beiden Beamten sitzen“, auch wenn sie die damalige Auseinandersetzung provoziert hatten. Dass diese Position allerdings nicht einheitlich ist, zeigt sich an der Aussage einer ehemaligen Bundespolizistin, die den Falls viele Jahre für das FBI vertreten hat, Sowohl sie als auch der damalige Staatsanwalt im Verfahren sowie der vor einigen Jahren verstorbene damalige Justizminister der USA haben öffentlich erklärt, dass FBI Peltier fälschlich belastet haben und seine Freilassung gefordert. Bisher gab es keine juristische Reaktion auf diese Aussagen.
Zu Beginn der Inhaftierung gab es starke Unterstützung für Peltier. Sowohl innerhalb der USA als auch weltweit war sein Fall als Beispiel der repressiven kolonialen Gewalt bekannt. Ähnlich wie einige Jahre später bei Mumia Abu-Jamal sah es viele Jahre so aus, als ob die offensichtliche politische Repression gegen ihn ins Leere laufen und er freigelassen würde. Aber politische und soziale Bewegungen sind oft nur kurzfristig und der Staat unnachgiebig. Viele Jahre wurde es sehr ruhig um Peltier, bis endlich 2016 während der Proteste gegen die Ölpipeline DAPL tausende indigener Aktivist*innen aus allen Teilen der USA die Forderung nach Peltiers Freilassung wieder in das Gedächtnis heutiger Aktivist*innen brachten.
Seit einigen Jahren haben sich auch in Europa Menschen vernetzt, die mit zahlreichen Aktivitäten die Freilassung des indigenen Elders erkämpfen wollen. Deshalb finden europaweit rund um den 6. Februar 2024 – den 48. (!) Haftjahrestag Aktionen statt.
In Berlin hat ein Bündnis namens Free Them All gestern eine Kundgebung vor der US Botschaft veranstaltet, an der über 40 Menschen teilnahmen. In den Redebeiträgen wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die Bewährungsanhörung in diesem Jahr wohl die realistischste Möglichkeit für Peltier ist, um endlich freizukommen. Deshalb werden die Bemühungen nun intensiviert. Bereits am 16. Februar findet im Zilona Gora eine Broschürenvorstellung statt, in der es neben Leonard Peltier generell um indigenen Widerstand in den Americas geht. Auf der Webseite des Tokata e.V. aus der Rhein/Main Gegend werden regelmäßig Updates über Leonard Peltier und aus der europäischen Unterstützer*innenvernetzung veröffentlicht.
Free Leonard Peltier – Free Them All!