Dokumentation: Juristische Hintergründe aus Mumia Abu-Jamals Gerichtsverfahren von 1982

Der schwarze Journalist Mumia Abu-Jamal sitzt fast sein halbes Leben in den USA im Gefängnis, davon bereits 24 Jahre in der Todeszelle. Am 8.12.2007 jährt sich seine Inhaftierung zum 26. Mal.


damalige Quellen und Unterstützer_innen: abu-jamal-news (en) | US-amerikanische Webseite mit Original-Audios von Mumia Abu-Jamal aus der Todeszelle (en) | Webseite des Mumia-Hörbuchprojektes und des Berliner Mumia-Bündnis | Webseite des langjährigen Mumia-Unterstützers Michael Schiffmann und Autor von „Wettlauf gegen den Tod“, Promedia 2006 | Aufruf für Kundgebung am 08.12 in Berlin

Juristisch steht Mumias Fall fast am Ende des Instanzenweges. Das sagt natürlich wenig über die noch zu erwartende Haftdauer aus. Eines scheint jedoch rückblickend sicher:


Ohne die Öffentlichkeit, die sein Fall erfuhr, wäre er heute nicht mehr am Leben und ohne erneute Öffentlichkeit wird er bestimmt auch nie als freier Mensch den Todestrakt verlassen können.

Im Folgenden soll es darum gehen, wie ein in den 90ern so bekannter Fall von rassistischer und politischer Unterdrückung scheinbar für immer in den Tiefen des US-Strafsystems verschwinden kann.


Mumia Abu-Jamal in den USA der 50er und 60er


Mumia Abu-Jamal wurde 1954 in Philadelphia geboren – demselben Jahr, in welchem der US-Surpreme Court offiziell die Rassentrennung in den USA aufhob. Bis dahin hatte es auch in den USA in vielen Bereichen Apartheid ähnlich der in Südafrika gegeben.


Als das Aufstandsbekämpfungsprogramm des FBI (COINTELPRO) Anfang der 70er grosse Erfolge bei der Spaltung und letztendlich Zerschlagung der BPP zeigt, verlässt Mumia enttäuscht die Organisation und beginnt am Goddard-College in Vermont zu studieren. Am Collage begegnet er dem Radiojournalismus, in welchem er fortan begeistert tätig ist.


Mumias Verhaftung und Prozess 1981


Wie schnell diese Drohung wahr werden sollte, zeigte sich am 9.Dezember 1981. Als Mumia, der inzwischen nachts Taxi fuhr, um als freier Journalist überhaupt noch seine Familie ernähren zu können, sah, wie ein Polizist seinen Bruder zusammen schlug, stieg er aus und eilte zur Hilfe. Dieser Polizist, Daniel Faulkner, schoss Mumia nieder. Unter nie zufrieden stellend geklärten Umständen wurde auch Daniel Faulkner dort erschossen. Die kurz danach am Tatort eintreffende Polizei erkannte hier sofort die Möglichkeit, den sehr bekannten kritischen Journalisten endgültig zum Schweigen zu bringen. Dass z.B. 10 Minuten später bereits der Leiter der politischen Abteilung am Tatort war, der an einem Mordschauplatz beruflich zunächst gar nichts verloren hat, spricht Bände. Das der Tatort sofort manipuliert wurde, ist mittlerweile durch etliche Fotos nachgewiesen, sogar auf einigen der Polizei selbst. Zeugen, die berichteten, einen vierten Mann nach den Schüssen wegrennen gesehen zu haben, wurden ignoriert. Für die ermittelnden Beamten stand von Anfang an fest, dass Mumia der Täter sein sollte.


Auf der Fahrt ins Krankenhaus wurde der lebensgefährlich verletzte Mumia Abu-Jamal schwer geschlagen und getreten, überlebt aber trotzdem. Als er einige Monate später wegen Misshandlung bei seiner Festnahme eine Anzeige gegen die beteiligten Beamten erstattete, meinten diese sich 2-3 Monate später auf einmal daran zu erinnern, Mumia habe in jener Nacht den Mord gestanden. Merkwürdigerweise war 3 geschulten Polizeibeamten sowie 2 Krankenhauswachen nicht früher eingefallen, diese Aussage zu Protokoll zu geben.


Auch die Staatsanwaltschaft war nicht untätig. Bevor es 1982 zum Prozess gegen Mumia kam, filterte sie systematisch Schwarze aus der Jury und schloss fast alle Zeugen, die Entlastendes hätte erzählen können, aus. Zusätzlich versuchte die Polizei , „Augenzeugen“ anzuheuern, die nie am Tatort waren, aber wegen eigener Vergehen erpressbar waren, wie z.B. Pamela Jenkins, die darüber 1997 in einer Anhörung aussagte. Einen meineidiger Polizist, welcher behauptete, Mumias Taxifahrerwaffe neben Mumia gefunden und gesichert zu haben, gehörte ebenso zum Programm wie „verloren gegangene“ Forensische Untersuchungen, ob aus dieser Waffe überhaupt ein Schuss abgegeben wurde.
Dass Mumia, der lediglich einen von ihm abgelehnten und völlig unerfahrenen Pflichtverteidiger zur Seite hatte, hier für schuldig erklärt wurde, überrascht nicht.


Der Zweck des Verfahrens wird besonders in der Phase der Urteilsfindung über deutlich. Der Staatsanwalt forderte die Todesstrafe, da die radikale journalistische Tätigkeit Mumias beweise, dass er ein „überzeugter Cop-Killer“ sei. Wie erwähnt, hatte Mumia hatte 1970 in einem Interview zur Ermordung schwarzer Militanter durch die Polizei gesagt: „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen“. Im Prozess gefragt, ob er nach wie vor zu dieser Aussage stehe, sagte Mumia, dass er glaube, die Geschichte der USA die Richtigkeit dieser Behauptung bewiesen hätte. Das Staatsanwalt McGill hiermit die Jury überzeugen konnte, Mumia sei ein „überzeugter“ Cop-Killer, muss wohl als eine seiner beruflichen „Meisterleistungen“ angesehen werden. Allerdings hatte er starke Schützenhilfe vom vorsitzenden Richter Sabo, welcher keiner illegalen Beeinflussung der Jury widersprach und in einer Gerichtspause sogar von einer Gerichtsschreiberin mit den Worten überhört wurde: „Ich werde ihnen helfen, den „n-word“ (die Autor_innen möchten dieses rassistischen Ausdruck bewusst nicht verwenden) zu grillen.“
Leben in der Todeszelle

Seit 1983 sitzt Mumia in der Todeszelle, viele Jahren davon im SCI Greene in ländlichen Pennsylvenia, weit entfernt von Philadelphia, wodurch Angehörigenbesuche für Gefangene zu einer teuren Besonderheit zählen.Auf 6qm ohne ungefiltertes Tageslicht und Aussengeräusche lebt und arbeitet Mumia weiter als „The Voice of the Voiceless“. Seine Stimme ist nach wie vor zu hören.


(Interview mit Mumia). Wochentags hat er 2 Stunden „Hofgang“, welche er für Sport, aber auch für juristische Beratungen seiner Mitgefangenen nutzt. So gelang es ihm vor wenigen Jahren, Harold Wilson zur Wiederaufnahme seines Verfahrens und letztendlich zur Freiheit nach 18 Jahren Todestrakt zu verhelfen (Wilson)


Kampf um ein neues Verfahren


Seit Mumias Todesurteil 2001 von Bundesrichter Yohn wegen falscher Instruktionen der Jury über die korrekte Art und Weise der Strafzumessung kassiert wurde, versucht Mumia, einen neuen, und diesmal „fairen“ Prozess zu erhalten. Weder er noch irgendjemand seiner Unterstützer_innen ist so naiv, zu glauben, dass die Gerichte auf einmal fair geworden seien. Aber seit August 2003 verfügt Mumia über ein kompetentes Verteidigungsteam unter Vorsitz von Robert R. Bryan.


Es gelang der Verteidigung, im Mai 2007 eine Anhörung vor dem 3. Bundesberufungsgericht über 3 Punkte herbeizuführen, die aus juristischer Sicht ein neues Verfahren erfordern.


Sollte auch nur einer dieser Punkte zugestanden werden, müsste das Gericht automatisch einen neuen Prozess ansetzen. Für Mumia würde die Unschuldsvermutung gelten und die Staatsanwaltschaft müsste ihm seine Schuld beweisen. Und ein solcher Schuldnachweis erscheint aus heutiger Sicht unmöglich.


Natürlich ist das der Staatsanwaltschaft von Pennsylvania völlig bewusst. Sie forderte in der diesjährigen Anhörung die Wiederinkraftsetzung des 2001 aufgehobenen Todesurteils. Ferner betreibt sie alle möglichen Verzögerungstaktiken und versucht ihr Möglichstes, die Verhandlungen vor ein ihn genehmeres Gericht zu bekommen (Kommentar vom Berlin Berliner Bündis zum legal update). Auch in der lokalen Politik des Bundesstaates regt sich Interesse. Der Gouverneur Ed Rendell wäre im Falle eines Todesurteils für den Hinrichtungsbefehl zuständig. Er machte bereits im Frühjahr 2007 deutlich, dass er das kaum abwarten könne. Kein Wunder, als Dienstherr von Staatsanwalt McGill 1982 würde er als direkt Beteiligter aktenkundig, sollte die Manipulation in Mumias Verfahren in einem neuen Prozess aufgedeckt werden.


Der erwartete Urteilsspruch des 3. Bundesberufungsgerichtes steht immer noch aus, kann aber jederzeit kommen. (legal update) sowie (hier) und (Vorbereitung auf das Urteil)


Weltweite Unterstützung


Mumia sollte 1995 und auch 1999 hingerichtet werden. Juristisch wurde ihm nicht der Hauch einer Chance gegeben, in irgendeiner Form gegen die sehr offen zutage liegenden Zweifel und Rechtsbrüche in seinem ursprünglichen Verfahren vorzugehen. Anberaumte Anhörungen ab 1996 waren eine Farce, sass ihnen doch derselbe Richter Sabo vor, der ihn bereits 1982 zum Tode verurteilt hatte und bis heute für die meisten Todesurteile der US-Justizgeschichte als Einzelperson verantwortlich ist.


Allerdings hatte sich bereits ab ca. 1991 starker internationaler Protest gegen diesen geplanten staatlichen Mord entwickelt. Als 1995 der erste Hinrichtungsbefehl unterzeichnet wurde, kam es auf allen Kontinenten des Planeten zu grossen Demonstrationen. Die USA gerieten sogar auf Regierungsebene unter Druck. Die Menschenrechtsfragen und speziell die Anwendung der Todesstrafe sind seitdem immer auf der Tagesordnung geblieben.


Wie in vielen sozialen und politischen Bewegungen brachen die unvermeidlich scheinenden Machtkämpfe aus und führten letztendlich zu einer Schwächung der Bewegung. Jüngere Generationen nahmen oft von vornherein Abstand. Glücklicherweise liessen sich 2007 jedoch viele neue Projekte und Initiativen zu Mumias Unterstützung beobachten.


Da die Todesstrafenbefürworter_innen in den USA im Augenblick in einer Defensive sind und auch bedingte juristische Zweifel an deren Verfassungmässigkeit bestehen (Surpreme Court verhandelt BAZE 2008), haben Mumia und die 3200 anderen Todestraktinsass_innen durchaus Chancen.


http://www.mumia-hoerbuch.de

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